Seitdem ich in meiner neuen Wahlheimat Pyin Oo Lwin (Maymyo) lebe, hat mich das offensichtlich multikulturelle Leben dort fasziniert. Die Stadt wurde 1885 als Hill Station von den Briten begründet, wobei Colonel May (5. Bengal Infantry) eine führende Rolle spielte. Wenn man an den Namen des Colonels das burmesische Wort für Stadt (myo) anhängt, ergibt sich Maymyo. So einfach ist das. Sie diente während der britischen Kolonialzeit als Sommerresidenz des britischen Gouverneurs. Aus dieser Zeit sind noch zahlreiche kolonialzeitlich Bauten erhalten, die der Stadt ihren besonderen Reiz verleihen. 1990 wurde die Stadt in Pyin Oo Lwin umbenannt, was der Name einer Shan-Siedlung war, die sich schon lange vor der Gründung der Hill Station dort befand. Obwohl die Stadt im Shan-Gebirge liegt, gehört sie administrativ zur Region Mandalay. Heute wird sie weitgehend geprägt durch die Militärakademie, überall sieht man Kadetten in Uniform. Pyin Oo Lwin könnte man fast kosmopolitisch nennen. Hier leben bis heute Angehörige vieler Minderheiten, die in der britischen Kolonialzeit eine bedeutende Rolle spielten. An erster Stelle sind da natürlich die Inder zu nennen. Ich stehe erst am Anfang meiner Forschungen hier und habe mich bisher vor allem den Gurkhas beschäftigt, daneben mit Hindu-Tempelfesten (s. mein Artikel Deepavali).
Die meisten Nepalesen in Myanmar sind die Nachfahren von Soldaten, die in der britischen Kolonialarmee gedient haben. Etliche Gurkhas haben nach der Unabhängigkeit Myanmars (1948) auch in der burmesischen Armee gedient. Etwa 8.000 Nepalesen leben heute in Pyin Oo Lwin, dem früheren Maymyo. Wahrscheinlich, weil es sie an ihre Heimat erinnert. Es ist kühler als in der heißen Ebene Myanmars und es gibt sogar ein paar Hügel. Bisher habe ich in der Gegend drei Tempel ausfindig gemacht, die von Gurkhas besucht werden: Einen in der Downtown von Pyin Oo Lwin, einen anderen ca. 6 km vom Stadtzentrum and der Mandalay-Lashio Road und einen weiteren in dem Ort Anisakhan, der ca. 12 km von Pyin Oo Lwin entfernt ist.
Der Pashupatinath-Tempel:
Der wichtigste Tempelkomplex der nepalesischen Gorakha (Gurkha) Gemeinde liegt am südlichen Ende der Aung Zeya Road in Maymyos Downtown. Besagter Tempelkomplex wird in der Regel Pashupatinath-Tempel genannt. Was nicht ganz richtig ist, denn streng genommen handelt es sich um zwei Tempel: Den großen Durga-Tempel und den kleineren Pashupatinath-Tempel. Ersterer ist der Göttin Durga geweiht, die von den Burmesen als Nat unter dem Namen Durga Maedaw verehrt wird. Er spielt bei dem Tempelfest, über das ich unten berichte, nur eine Nebenrolle. Der kleinere Pashupatinath-Tempel hat eine interessante Geschichte, obwohl er noch gar nicht so alt ist. Er wurde 1964 vom nepalesischen König Mahendra (1920-1972) gestiftet. Der König wurde von den in Myanmar lebenden Nepalesen als Schutzherr betrachtet. Die Monarchie ist allerdings in Nepal seit 2008 abgeschafft. Der Tempel ist dem Gott Shiva geweiht, der von vielen Gläubigen als Schutzherr Nepals verehrt wird. Hier in seiner Form als Pashupati, d. h. Herr der Tiere. Eine sehr alte Inkarnation des Gottes, denn bereits in der Induskultur (3. Jahrtausend B.C.) war eine ähnliche Gottheit Gegenstand der Verehrung. Vor dem Tempel steht eine Statue des Bullen Nandi, Reittier Shivas und eine von Hanuman, allgemein gern als ‚Affengott‘ bezeichnet. Was natürlich eine etwas krude Vereinfachung ist.
Als Vorbild für diesen Tempel gilt sein weltberühmter Namensvetter im Kathmandutal, eine der wichtigsten hinduistischen Pilgerstätten der Welt. Sie liegt am Bagmati-Fluss, einem Nebenfluss des Ganges, und besteht angeblich seit ca. 400 B.C.! Der Tempel in Pyin Oo Lwin selbst ist relativ unspektakulär, zwei Stiftertafeln (eine in Burmesisch, die andere in Nepali) erzählen die Geschichte seiner Stiftung. Dahinter befindet sich ein interessantes Labyrinth, in dessen Zentrum ein runder Tempel steht, der einen Shivalinga (häufig vereinfachend als Phallussymbol gedeutet) enthält. Das Labyrinth ist aus Ziegeln gemauert (so vermute ich), die mit Marmorplatten verkleidet wurden. Insgesamt 64 marmorne Shivalingas sind in unregelmäßigen Abständen auf den Mauern des Labyrinths aufgestellt. Leider war niemand im Tempel in der Lage, mir zu erklären, was es mit dem Labyrinth auf sich hat. Angeblich soll es nach dem Vorbild eines ähnlichen Bauwerks im Pashupatinath-Tempel im Kathmandutal errichtet worden sein. Allerdings ist mir ein solches Bauwerk dort nicht bekannt und auch Freunde, die dort Bescheid wissen als ich, kennen es nicht. Hinter dem Labyrinth befindet sich ein kleinerer Tempel mit den neun Planetengottheiten (navagraha). Diese unterscheiden sich deutlich von ihren burmesischen Artgenossen. So ist z. B. der Nordosten dem Shiva in seiner Form als Ishana (vgl. Isan/Thailand) geweiht, während in Myanmar der Adler (Garuda) sein Symboltier ist.
Shivaratri (die Nacht des Shiva) ist eines der wichtigsten Feste für die Anhänger des Gottes, die Shaivas genannt werde. Es fällt immer auf die Nacht zwischen dem 13. und 14. Tag des Hindu-Monats Phalgun und symbolisiert den Sieg des Lichtes über die Finsternis und das Ende des Winters. Im Volksglauben wird sie als die Hochzeit von Shiva und Parvati gedeutet. Im Gegensatz zu den meisten Festen der Hindus wird dieses Fest nachts gefeiert. Es geht über drei Nächte, der Höhepunkt ist die letzte Nacht. In den Tempeln werden Tausende von Öllämpchen aufgestellt. Überall sieht man Opfergaben, überwiegend Früchte. Es wird gefastet, meditiert, es werden Gebete gesprochen und das Mantra OM Namah Shivaya (OM ist der Name Shivas) pausenlos rezitiert. An diesem Tag sah ich auch erstmals eine Prozession in dem Labyrinth. Viele Frauen mit Kindern wandelten durch seine engen Gassen und die Shivalingas wurde mit Milch übergossen. Etliche Gläubige ließen Kleidungsstücke als Opfergaben dort zurück. Es war ein unbeschreiblich stimmungsvoller Abend mit vielen Gläubigen, viele in Festtagsgewänder gekleidet. Einige verrichteten dort ihre frommen Werke, andere standen nur da und unterhielten sich. In der Festhalle hatten sich viele Gläubige versammelt und lauschten der Musik.